Vom Umgang mit Risiken

 

Oder: Warum Jongleure risikoavers sind.

Jongleure sind mit 2 Arten von Risiken konfrontiert: Das Risiko zu scheitern und das Risiko sich zu verletzen.

Das Risiko des Scheiterns: 3, 4, 5 oder mehr Bälle zu jonglieren ist nicht ganz so einfach. Jeder, der es schon einmal versucht hat, weiß, dass die Bälle runterfallen (können). Das mag nicht ganz so tragisch sein, wenn man für sich alleine übt, aber wenn dem man Zuschauer hat, möchte man natürlich vermeiden, sich zu blamieren.

Ohne dieses Risiko gibt es aber auch kein Jonglieren. Es entsteht keine Bewegung sondern eher Stillstand.

Das Risiko einer Verletzung: Hier habe ich zwei Aspekte im Kopf. Natürlich besteht die Möglichkeit sich zu verletzten, wenn man den Bewegungsapparat des Körpers (Gelenke, Sehnen, Muskeln, Bänder) durch zu starke Beanspruchung z.B. im Training überfordert.

Ein anderes Verletzungsrisiko besteht, wenn man Gegenstände jongliert, mit denen man sich verletzten kann, z.B. Feuerfackeln. Mir ist es z.B. einmal bei einer Probe vor einem Auftritt während eines Engagements im Varieté passiert, dass zwei Alustangen, mit denen ich jongliert habe, zusammengestoßen sind. Eine ist mir auf die Nase gefallen. Kurz gesagt, es tat höllisch weh, ich habe den Auftritt dann mit viel make-up irgendwie über die Bühne gebracht, bin während die Vorstellung noch lief, ins Krankenhaus und hab die Nase röntgen lassen. Es war nichts gebrochen und ich bin dann zum Finale der Show wieder auf der Bühne gestanden.

Trotzdem scheint mir das Risiko einer Verletzung untergeordnet. Das Risiko des Scheiterns besteht immer.

Es ist eigentlich wie auch sonst im Leben. Auch hier begleitet uns das Risiko zu Scheitern und auch für unsere Gesundheit gibt es Gefahren.

Sind Jongleure nun besonders draufgängerische Typen? Leute, die ohne den Adrenalinkick nicht leben können?

Ich behaupte: Nein, im Gegenteil. Jongleure gehen mit Risiken sehr bedacht um. Ich behaupte, Jongleure sind sogar sehr risikoavers!

Wie sieht das „Risiko Management“ eines Jongleurs aus?

Was ist entscheidend, damit ein Auftritt möglichst gut über die Bühne geht:

1. Vorbereitung und Übung im Trainingsraum
Es gibt wohl keinen Jongleur, der einen (schwierigen) Trick auf der Bühne zeigt, ohne diesen vorher geübt zu haben. Im Gegenteil: Man übt einen Trick, ein neues Kunststück oder eine Darbietung erst mal sehr lange im Trainingsraum. Am Anfang klappt es vielleicht überhaupt nicht, dann immer besser. Ich erinnere mich an eine Faustregel: Im Training muss der Trick mindestens 9 von 10 Mal klappen, bevor man ihn auf der Bühne zeigen kann.

Viele Jongleure trainieren im Übungsraum auch Tricks auf einem höheren/schwierigeren Level und zeigen vor Publikum entsprechend „einfachere“ Tricks.

2. Routine und Erfahrung entwickeln
Durch die viele Übung und mit der Zeit durch die vielen Auftritte entsteht eine gewisse Sicherheit und Routine, dank der man das Risiko, das ständig etwas runterfällt, einigermaßen kontrollieren kann.

Die Gefahr ist dann aber schnell, dass man aufhört weiterzuarbeiten und die gleiche Darbietung über 10 oder 20 Jahre zeigt.

3. Risiko bewusst reduzieren, wenn es darauf ankommt
Eine andere Möglichkeit besteht darin, das Risiko auf der Bühne bewusst zu reduzieren. Wenn ich mich also z.B. unsicher auf der Bühne fühle, z.B. weil das Licht schlecht ist oder weil ich bereits einen „drop“ (Fachwort dafür, dass einem Jongleur etwas runtergefallen ist) hatte entschließe ich mich, schwierige Würfe oder Tricks gar nicht zu zeigen, um das Risiko eines erneuten drops zu reduzieren.

4. Positive Affirmationen und selbstsicheres Körpergefühl verankern.
Ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht: Wenn ich denke, „jetzt bloß nichts fallen lassen“, und mich dabei innerlich unsicher fühle (!) fällt mir eine Sekunde später etwas aus der Hand.

Es ist durchaus hilfreich, in solchen Fällen mit positiven Affirmationen zu arbeiten, wie „ich bin fangsicher“. Wichtig ist aber auch immer das Selbstbewusstsein dazu auch wirklich im Körper zu finden und zu fühlen!

Auch das übt man am besten vorab.

5. Risiken richtig wahrnehmen
Risiken werden oft falsch wahrgenommen – das ist beim Jonglieren genauso wie im Leben.

Es kommt vor, dass mir etwas in Momenten aus der Hand fällt, in denen ich etwas total Einfaches mache. Das hat vermutlich damit zu tun, dass ich unterbewusst denke, es ist so simpel, ich benötige dafür überhaupt keine Aufmerksamkeit. Das ist in gewisser Weise natürlich fatal.

Andererseits haben die Zuschauer oft eine andere Wahrnehmung bzgl. Schwierigkeit als der Jongleur. Nicht alles, was spektakulär aussieht ist auch wirklich spektakulär schwierig. Und der Künstler kann einen Trick sogar als schwerer erscheinen lassen, als er ist, in dem ich ihn als besonders schwierig ankündige. Da ich auf der Bühne einen hohen Status habe (ich kann ja schließlich Kunststücke kann, die im Publikum keiner kann), glauben mir die Zuschauer. Ich kann die Zuschauer also in gewisser Weise hinters Licht führen (Jongleure machen das aber selten und meist ist der Schlusstrick am Ende des Auftritts dann auch tatsächlicher schwieriger als die Tricks vorab).

6. Auf den Körper und die Gesundheit achten
Bisher ging es nicht um Risiken, die das Leben oder die Gesundheit betreffen.

Trotzdem achte ich als Jongleur sehr auf meinen Körper und meine Gesundheit. Mit Verletzungen kann ich meinen Beruf nicht richtig ausführen und als Selbstständiger bekomme ich auch nicht so einfach eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Nur mit einem gesunden Körper kann ich jonglieren!

Lässt sich daraus etwas für andere Bereiche wie die Arbeitswelt oder die Gesellschaft ableiten?

1. Risiken oder Erfahrungen lassen sich gut in einer sicheren Umgebung erforschen, ähnlich dem Trainingsraum, den ein Jongleur nutzt.

2. Erfahrung und Routine sind super, aber man sollte nicht stehen bleiben, sondern weiter üben und sich weiter entwickeln.

3. Risiken in Momenten der Unsicherheit zu reduzieren, kann die richtige Entscheidung sein.

4. Das richtige Maß an Selbstsicherheit entwickeln.

5. Lernen, Risiken richtig wahrzunehmen und nicht bei scheinbar einfachen Situationen kopflos werden.

6. Die Gesundheit geht vor!

2 Arten von Risiken

Das Gute beim Jonglieren ist, es geht meistens nur darum, das Risiko eines drops zu reduzieren. Wenn ein Ball runterfällt, ist das zwar ärgerlich, die negativen Auswirkungen sind aber überschaubar.

Anders sieht es aus, wenn ein Jongleur z.B. mit Feuer jongliert, dann besteht natürlich durchaus die Möglichkeit, sich selbst zu verletzten oder einen Brand zu verursachen (daher beginnt man auch nicht gleich mit Fackeln oder Motorsägen zu jonglieren sondern erstmal mit Stoffbällen).

Es gibt also 2 Arten von Risiken: Risiken mit geringen Auswirkungen und Risiken mit ernsteren Auswirkungen. Mit letzteren sollte man nicht ganz so sorglos umgehen, wie mit ersteren.

Mit Blick auf Themen wie Atomkraft, Atomwaffen, Glyphosat und ähnliche Stoffe stellt sich auch hier für mich die Frage, ob wir mit Blick auf die möglichen Auswirkungen und katastrophale Schäden dieser Risiken die richtigen Entscheidungen treffen…

Beim Schreiben dieses Artikels musste ich an Nassim Nicholas Taleb denken, dessen Bücher ich vor einigen Jahren gelesen habe. Ich denke er kommt zu ähnlichem Schlüssen, wenn er vom „risk of ruin“ spricht oder vom „precautionary principle“ (Vorsorgeprinzip) spricht.

Du möchtest Jonglieren lernen? Hier geht’s zu meinem Tutorial.

Text: Christoph Rummel, Februar 2020

Show, Inspiration & Experimente mit der Kunst der Jonglage

Frei inszeniert und inhaltlich abgestimmt auf Themen und Anlässe.

Das Jonglieren ist mein Kosmos: Erlebniswelt, Bewegungsraum, Geistessphäre, Herzblut und Sinnbild. Als Jongleur und Bühnenkünstler möchte ich Kopf, Herz und Bauch der Menschen und Zuschauer:innen erreichen.

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